Aus Was dir gegeben, bring es zum Leben! - 1. Kapitel: Die Kunst, gut zu sprechen
Wir sagen von einem Menschen, dass er gut spricht,
wenn er eigene Gedanken besitzt,
wenn er viel liest, denkt und hört und
deshalb auch selber etwas zu sagen hat.
Walter Scott.
Charles W. Eliot sagte einmal als Vorsteher der Harvard-Hochschule, er lasse bei Männern und Frauen nur eine einzige geistige Errungenschaft als wirklich wesentliches Stück der Bildung gelten, nämlich die Fähigkeit, seine Muttersprache richtig und schön zu sprechen. Und in der Tat erweckt keine andere Gabe so leicht bei Menschen, die sonst gar nichts von uns wissen, einen günstigen Eindruck von unserer Persönlichkeit, als die, gut sprechen zu können.
Wer ein guter Unterhalter ist, wer die Teilnahme und die Aufmerksamkeit der Menschen durch seine Überlegenheit im Gespräch für sich gewinnen kann, der besitzt eine große und fast allem übrigen überlegene Kunst. Er kann damit nicht bloß auf Leute, die ihm fremd sind, einen günstigen Eindruck machen, sondern er versteht es auch, sich Freunde zu erwerben und sie festzuhalten. Diese Kunst öffnet alle Türen und gewinnt alle Herzen, sie macht uns zum Mittelpunkt jeder Gesellschaft und hilft uns in der Welt voran, denn sie führt dem Rechtsanwalt Ratsuchende, dem Arzt Kranke, dem Kaufmann Kunden zu. Mit ihr kann auch der Arme in die besten Kreise hineinkommen. Wer gut sprechen und das, was er sagen will, in eine anziehende Form kleiden und so die Aufmerksamkeit und Teilnahme andrer sofort gewinnen kann, der besitzt von vornherein einen großen Vorsprung vor einem andern, der vielleicht viel mehr weiß, aber sich nicht leicht und geläufig ausdrücken kann.
In keiner andern Kunst oder Fertigkeit hast du immerfort Gelegenheit, dich zu betätigen und deine Geschicklichkeit zu zeigen; dies ist nur bei der Kunst gut zu sprechen so.
Bist du etwa ein Musiker mit starker Begabung und langjähriger Übung und einem großen Kostenaufwand für die Ausbildung, so sind es doch immer nur verhältnismäßig wenige Menschen, die dich hören und deine Leistungen schätzen können. Bist du ein guter Sänger, so kannst du unter Umständen um die ganze Welt reisen und hast kein einziges Mal Gelegenheit, deine Kunst zu zeigen, und kein Mensch ahnt, was du alles kannst. Aber an jedem Ort und in jeder Gesellschaft und Umgebung kannst du sprechen. Bist du ein Maler und hast die besten Meister gehabt, so sehen doch immer nur ganz wenig Menschen deine Bilder, falls sie nicht etwa in einer großen Ausstellung oder öffentlichen Sammlung hängen. Aber bist du ein Meister in der Kunst der Unterhaltung, so kann jeder, mit dem du in Berührung kommst, dein Lebenswerk sehen, an dem du gearbeitet hast, seit du zu sprechen anfingst, und jeder sieht sogleich, ob du ein Meister oder ein Pfuscher bist.
Es steht wirklich so: Die meisten deiner Vorzüge und Errungenschaften können die andern Menschen nur gelegentlich sehen und genießen; von deinem prächtigen Heim und deinen Besitztümern wissen nur ganz wenige; sprichst du aber gut, so steht jeder einzelne, mit dem du sprichst, unter deinem Zauber und Einfluss.
Eine sehr bekannte Dame der guten Gesellschaft, die es besonders gut versteht, Neulinge in die Gesellschaft einzuführen, gibt ihren Schützlingen stets den Rat: „Sprich, sprich! Es kommt nicht so viel drauf an, was du sagst, du musst nur leicht und lustig drauflosreden. Nichts bringt die Männer, wie sie im Durchschnitt sind, so in Verlegenheit und nichts langweilt sie so wie ein Mädchen, das man in einem fort unterhalten muss“. Das ist wirklich ein nützlicher Rat, der einzige Weg, auf dem man das Sprechen lernen kann, ist eben sprechen. Wer noch nicht an das gesellschaftliche Leben gewöhnt und schüchtern ist, der kommt leicht in Versuchung, gar nichts zu reden und nur andern zuzuhören. Aber Leute, die in der Unterhaltung flott und gut mitreden, sind in jeder Gesellschaft gesucht. Jeder lädt Frau So und So ein, denn sie spricht so nett und gut, sie unterhält alle. Sie kann eine Menge Fehler haben, aber in der Gesellschaft hat jedermann Freude an ihr.
Wenn man die gesellschaftliche Unterhaltung in diesem Sinn ansieht, als ein Erziehungsmittel, so ist sie ein treffliches Werkzeug, um eine angeborene Kraft zu entwickeln und zu stärken. Wer freilich nur gedankenlos spricht und sich keine Mühe gibt, die eigene Meinung deutlich, bestimmt und wirklich auszusprechen, wer bloß plappert und schwatzt, so das gewöhnliche Gesellschaftsgeschwätz – der wird freilich, wenn er auch die Menschen für sich einnimmt, ihren besseren Teil nicht für sich gewinnen, denn der liegt zu tief für solch oberflächliches Treiben.
Es gibt unzählige junge Leute, die ihre Altersgenossen beneiden, weil diese schneller vorwärtskommen als sie; aber sie selber verschwenden ihre kostbaren Abende und freien Nachmittage aufs schnödeste, indem sie lauter hohles, nichtsnutziges und sinnloses Zeug schwatzen, das nicht einmal witzig ist, sondern bloß einfältig und töricht, und das sie in jeder Beziehung herunterbringt, weil es sie zu oberflächlichem Denken verleitet. Wie oft hört man auf der Straße, in der Straßenbahn oder sonst an öffentlichen Orten laute, grobe Stimmen, die sich so recht oberflächlich und in möglichst gewöhnlichen schnoddrigen Redensarten unterhalten. „Ausgeschlossen!“ „Tadellos!“ „Selbstredend!“ „Totschick!“ „Wetten dass“ - ... derartige abgegriffene Sprachmünzen klingen nur allzu oft an unser Ohr!
Nirgends offenbarst du schneller, ob du feine Bildung und Erziehung besitzt oder nicht, als in deiner Unterhaltung; sie erzählt die ganze Geschichte deines Lebens. Was du sagst und wie du es sagst – damit verrätst du alle deine Geheimnisse und gibst den Menschen den rechten Maßstab zu deiner Beurteilung.
Keine Kunst kannst du so andauernd und mit solcher Wirkung ausüben und mit keiner kannst du so viel Freude machen, als mit der Kunst, eine Unterhaltung gut zu führen. Die wenigsten Menschen schätzen diese Gabe genug, die meisten versäumen ihre richtige Ausbildung. Und weil sie sie nicht als Kunst behandeln, weil sie sich keine Mühe geben, sie gründlich zu erlernen, deshalb bleiben sie darin bloße Stümper. Wie viele müssen sich sagen lassen, dass sie ihre Muttersprache in nachlässiger und gleichgültiger Art sprechen! Es ist freilich viel leichter, es so zu machen, wie es ja auch leichter ist, gedankenlos zu sprechen, als sich anmutig, leicht und doch kräftig und wirksam auszudrücken.
Wer’s nicht kann, der entschuldigt sich gern dafür, dass er sich keine Mühe gibt, es zu lernen, mit dem Satz, die Gabe des guten Plauderns müsse wie die Rednergabe angeboren sein. Aber da könnte man ebenso gut behaupten, zum guten Rechtsanwalt oder Arzt oder Kaufmann müsse man geboren sein, während doch niemand auf diesen Gebieten etwas halbwegs Gutes leisten wird ohne tüchtige Arbeit. Diese ist eben der Preis, den wir für alles zahlen müssen, was Wert hat.
Mancher verdankt sein Vorwärtskommen größtenteils seiner Gabe, eine gute Unterhaltung zu führen, denn die Fähigkeit, andre Menschen durch Unterhaltung dazu zu bringen, dass sie an mir Anteil nehmen, und sie dabei festzuhalten, ist eine ganz bestimmte Kraft. Wer sich schlecht auszudrücken versteht, wer das, was er ganz gut weiß, nicht in klaren und anziehenden Worten aussprechen kann, der ist immer im Nachteil.
Ich kenne einen Geschäftsmann, der die Kunst der Unterhaltung so vollendet ausgebildet hat, dass es ein wahrer Genuss ist, ihm zuzuhören. Seine Sprache fließt so leicht und schön dahin, er wählt seine Worte so geschmackvoll, so fein und doch genau, dass er jeden Zuhörer einfach bezaubert. Er hat sein ganzes Leben lang nur die besten Sachen in gebundener und ungebundener Rede gelesen und auf diese Weise die bloße Unterhaltung zu einer wirklichen Kunst entwickelt.
Diese Kunst zu lernen, ist aber für niemand unmöglich. Du denkst vielleicht, du bist zu arm dazu, du hast gar keine Aussichten vor dir. Vielleicht bist du in der Lage, dass du für andre sorgen musst; du kannst deshalb keine höhere Schule besuchen, du kannst dich nicht der Tonkunst oder einer andern Kunst widmen, wie du doch gerne möchtest, du bist mit tausend Ketten gefesselt und dein unbefriedigtes Streben quält dich – aber gut sprechen kannst du immer lernen, denn du kannst dich jeden Augenblick darin üben, das, was du sagen willst, in der vollkommensten Form zu sagen. Jedes Buch, das du liest, jeder Mensch, mit dem du sprichst, kann dir dazu helfen, deine Muttersprache besser und schöner sprechen zu lernen.
Die meisten Menschen denken freilich gar nicht darüber nach, wie sie sich ausdrücken; sie nehmen das erstbeste Wort, das ihnen auf die Zunge kommt; es fällt ihnen gar nicht ein, ihre Sätze so zu formen, dass sie Schönheit und Kürze, Deutlichkeit und Nachdruck vereinigen. Die Worte fallen ihnen einfach aus dem Mund und sie kümmern sich gar nicht drum, sie irgendwie in gute und schöne Ordnung zu bringen.
Manchmal, aber selten genug treffen wir einen wirklichen Künstler der Unterhaltung, und dann empfinden wir ein solches Entzücken, dass wir uns nun doch wundern, warum wir meist solche Stümper auf diesem Gebiet sind und warum wir dieses Mittel der Verbindung von Mensch zu Mensch so verhunzen, während man es doch zu einer Kunst gestalten kann, die alle Künste übersteigt.
Es kommt freilich bei der Unterhaltung darauf an, dass Gehalt und Form gleich gut sind. Jeder hat wohl Bekannte, die sich aufs feinste und geläufigste ausdrücken können und dadurch allein schon Eindruck machen – aber das ist auch alles: ihre Gedanken lassen uns kalt und enthalten keinen Antrieb zum Handeln. Wenn wir ihnen zugehört haben, so sind wir um kein Haar mehr als vorher entschlossen, etwas zu leisten oder zu werden. Dagegen kennt wohl mancher Menschen, die wenig sprechen, aber ihre Worte sind so gehaltvoll und triebkräftig, dass wir unsre Kraft vervielfacht fühlen, wenn wir sie gehört haben.
In früheren Zeiten war die Kunst der Unterhaltung höher ausgebildet als heute, aber die völlige Umwälzung der heutigen Kommunikationsbedingungen hat sie von dieser Höhe herabsinken lassen. Früher gab es fast kein anderes Kommunikationsmittel für die Gedanken als die Sprache von Angesicht zu Angesicht; fast alle Kenntnisse wurden nur durch mündlichen Vortrag verbreitet, es gab keine großen Tageszeitungen und keine Wochen- oder Monatsschriften.
Heute ist das alles anders. Die Schätze an Edelmetallen, die man gefunden hat, die neue Welt der Erfindungen und Entdeckungen und der große Antrieb, den das alles dem allgemeinen Streben verliehen hat, haben die Gestalt der Welt verändert. Im Zeitalter der Blitzzüge, in unsrer so scharf angespannten Zeit, wo jeder so rasch als möglich zu Reichtum und hoher Stellung gelangen will, da haben wir keine Zeit mehr zu langsamer Überlegung beim Sprechen und zur Entfaltung einer wirklichen Kunstfertigkeit in der Unterhaltung. Heute, da jeder Neuigkeiten und Belehrungen, die um den Preis von Tausenden von Dollar zusammengebracht worden sind, für ein paar Cents bekommen kann, da sitzt jeder vor seiner Morgenzeitung oder versenkt sich in ein Buch oder eine Zeitschrift. Deshalb ist das Bedürfnis nach mündlichem Verkehr längst nicht mehr so stark wie früher. Die Kunst der Beredsamkeit ist aus demselben Grund verschwunden. Gedruckte Bücher sind heute so billig, dass der Ärmste sich jetzt mehr Bücher leisten kann als Vornehme und Könige im Mittelalter. Es ist heute etwas außerordentlich seltenes, einen wirklich geschulten Unterhalter zu finden. Dass jemand seine Muttersprache fein und gewählt gebraucht, das erscheint schon fast als ein Luxus.
Das Lesen guter Bücher hat nicht bloß den Wert, dass es unsern Geist erweitert und uns neue Gedanken mitteilt, sondern es macht auch unsern Wortschatz reicher, und das ist ein großer Vorteil für die Unterhaltung. Mancher hat wohl gute Gedanken, aber er kann sie nicht gut ausdrücken, weil sein Wortschatz zu arm ist, um sie in richtige und anziehende Form zu kleiden. Er redet immer um die Sache herum und wiederholt sich unaufhörlich, weil er das Wort nicht findet, das seine Meinung bestimmt und genau ausdrückt.
Wenn du gut sprechen willst, so musst du dich so viel als möglich in gebildeter Gesellschaft bewegen. Wenn du dich abschließt, so wirst du es bei aller Gelehrsamkeit nie lernen, dich gefällig und wirksam auszudrücken.
Wir haben gewiss alle aufrichtiges Mitgefühl für Menschen, die zaghaft und schüchtern sind und denen man die Anstrengung ansieht, die es sie kostet, etwas sagen zu sollen, das sie nicht herausbringen. Mancher leidet bitter in solchen Lagen, besonders in der Schule. Aber mancher große und berühmte Redner hat dieselbe Erfahrung machen müssen, wie er zuerst öffentlich aufzutreten versuchte; nur hat er sich durch sein Ungeschick und durch seine Erfolglosigkeit nicht abschrecken lassen. Es gibt eben keinen andern Weg, die Kunst der öffentlichen Rede oder der Unterhaltung zu erlernen, als dass man sich fortwährend in feinem und wirkungsvollem Ausdruck übt.
Wenn du auch die Empfindung hast, dass deine Gedanken beim Versuch, sie auszudrücken, sich verwirren oder entschwinden, wenn du zu stammeln beginnst beim Suchen nach Worten – eins ist sicher: jeder ernstliche Versuch, selbst wenn er selber misslingt, wird dir den Weg fürs nächste Mal leichter machen. Wenn du nur nicht nachlässt, so wirst du zu deiner eigenen Verwunderung erleben, wie schnell du deine Schüchternheit und Befangenheit überwindest und dich leicht und bequem ausdrücken lernst.
Wie oft sehen wir, dass Menschen nur deshalb hinter andern zurückstehen müssen, weil sie es nicht verstehen, ihre Gedanken in anregender und eindrucksvoller Sprache auszusprechen. Bedeutende Männer müssen in öffentlichen Versammlungen oft still dasitzen und sind nicht imstande, das von sich zu geben, was sie nicht bloß wissen, sondern was sie tausendmal besser verstehen als die, die in der Versammlung die längsten und geläufigsten Reden darüber halten. Ein Mann mit den bedeutendsten Fähigkeiten und mit einer Masse von Kenntnissen erscheint in der Gesellschaft oft wie ein unwissender Dummkopf, während oberflächliche Schwätzer im Mittelpunkt derselben Gesellschaft stehen, bloß weil sie das bisschen, was sie wissen, anregend mitzuteilen verstehen. So mancher fühlt sich beständig verlegen und gedemütigt unter Fremden, die seinen wahren Wert nicht kennen, weil er über keinen Gegenstand gewandt und fließend reden kann. Solche Schweiger gibt es zu hunderten in jedem Volk.
Viele Menschen, besonders Gelehrte, glauben offenbar, das wichtigste im Leben sei, so viel Wissen als möglich in sich hineinzustopfen. Aber mindestens ebenso wichtig ist, dass man dieses Wissen in einer für andere genießbaren Form wieder von sich geben kann. Du kannst ein grundgelehrtes Haus sein, du magst in Geschichte und Politik, in Wissenschaft und Literatur noch so belesen sein – wenn dein Wissen in dir verschlossen bleibt und du es nicht ausgeben kannst, so wirst du immer hinter andern zurückstehen müssen. Es kann dem Einzelnen wohl ein Gefühl der Genugtuung gewähren, wenn er vieles in sich verschlossen herumträgt, aber die Welt schätzt es nicht und gibt ihm nichts dafür, so lange es nicht aus ihm heraustritt. Ein ungeschliffener Diamant ist ja viel größer als ein geschliffener, aber die begeisterte Beschreibung der in ihm verborgenen Schönheit wird so lange niemand überzeugen, bis er geschliffen ist und das Licht in ihn hinein strahlt und seinen verborgenen Glanz zum Leuchten bringt. Was das Schleifen für den Diamanten, das ist die Kunst des Sprechens für den Menschen: der Wert wird nicht vergrößert, aber er wird sichtbar.
Die meisten Eltern haben keine Ahnung, wie sehr sie ihre Kinder schädigen, wenn sie sie aufwachsen lassen ohne die Kenntnis des großen Gewinns, den sie aus der Kunst des Sprechens ziehen könnten. Aber in den meisten Häusern wird nicht im Geringsten darauf geachtet, ob die Kinder ihre Muttersprache gut oder schlecht reden.
Und doch haben wenige Dinge einen so günstigen Einfluss auf die Entwicklung des Verstandes und des Charakters, als das beständige Bestreben, alles was man sagen will, gut, klar und anziehend zu sagen; das ist ein ausgezeichnetes Mittel zur Selbsterziehung, das sehr oft trefflich über die Mängel einer unvollkommenen Schulbildung weghilft. Denn die Schule bildet ihren Zögling nur einige Jahre lang und nur wenige Stunden am Tag, während das Sprechen in der Unterhaltung das ganze Leben hindurch geübt werden kann. Und mancher hat seine beste Bildung in dieser Schule empfangen.
In einer mit solcher Absicht der Selbsterziehung geführten Unterhaltung treten alle möglichen Fähigkeiten zutage, die sonst verborgen blieben. Das Denken wird aufs stärkste angeregt, das Selbstvertrauen und die Selbstachtung wachsen, wenn wir fühlen, dass wir auf andre anziehend und festhaltend wirken.
Niemand weiß, was er eigentlich in sich trägt, solange er sich nicht ernstlich Mühe gibt, es für andere auszudrücken. Dann erst öffnen sich die Tore seines Geistes und alle seine Fähigkeiten werden lebendig. Jeder, der gut spricht, empfindet ganz deutlich, wie von dem Zuhörer eine Kraft zu ihm überströmt, die er früher nicht gefühlt hat und die in ihm neue Gedanken erweckt. Diese Mischung von Gedanken mit Gedanken, diese Berührung von Geist mit Geist entwickelt neue Kräfte, wie aus der chemischen Vereinigung zweier Stoffe ein neuer Stoff hervorgeht.
Wer aber gut reden will, der muss auch gut zuhören können, das heißt, er muss verstehen, wie man sich aufnehmend verhält. Die meisten können ebenso wenig gut reden als gut zuhören. Wir sind meist zu ungeduldig zum Zuhören. Statt aufzumerken und eifrig die Geschichte oder die Belehrung in uns aufzunehmen, haben wir nicht genug Achtung für den, der redet, um still zu sein. Wir sehen unruhig umher, ziehen vielleicht gar unsre Uhr auf, trommeln mit den Fingern auf dem Stuhl oder dem Tisch, rücken hin und her, gerade wie wenn wir Langweile hätten und es nicht erwarten könnten, bis wir fortkommen, oder wir unterbrechen den Redner, ehe er dahin gelangt ist, wohin er wollte – kurz wir sind so ungeduldige Menschen, dass wir zu nichts Zeit haben, als rücksichtslos mit den Ellbogen rechts und links zu drängeln, um die Stellung oder das Geld zu erlangen, das wir haben wollen. Unser Leben strömt in fieberhafter und unnatürlicher Eile dahin, wir haben keine Zeit mehr zu seinen Formen oder zu seinen Worten.
Früher, als unser heutiges Zeitalter der Eile und Aufregung noch nicht eingesetzt hatte, betrachtete man es als einen der größten Genüsse, einem Menschen, der gut spricht, zuhören zu können. Und das war etwas besseres, als selbst ein Vortrag meistens bieten kann, und viel besser als das Lesen eines Buches, denn es lag der Zauber des Persönlichen darin. An einer solchen Quelle Weisheit zu schöpfen, war ein Fest für den, der nach Belehrung dürstete. Heute heißt es überall: „Antippen und weggehen“. Wir haben nicht einmal mehr Zeit, uns auf der Straße anständig zu grüßen. Was feine Form heißt, dauert heute zu lange; was den Zauber der Vergangenheit ausmachte, Aufrichtigkeit und Muße, das ist aus unserem Leben fast gänzlich verschwunden. Eine ganz andre Art Mensch kommt heute auf. Wir arbeiten den ganzen Tag wie ein Pferd und abends stürzen wir ins Theater oder sonst einen Ort, wo es Unterhaltung gibt. Uns selber Unterhaltung zu verschaffen, selber etwas Lustiges vorzubringen – dazu haben wir keine Zeit. Wir zahlen dafür, dass andre lustig sind, und sitzen davor und lassen uns zum Lachen bringen. Wir sind wie Schüler, die ganz und gar vom Einpauker abhängig sind, wenn sie durchs Examen kommen wollen, und sich am liebsten ihre ganzen Kenntnisse fertig kaufen möchten.
Das Leben wird allmählich so künstlich und gewaltsam, so losgetrennt von aller Natur, unsre Maschine läuft mit so rasender Geschwindigkeit, dass alles Feine verschwindet und es immer unmöglicher wird, den Zauber einer durchgebildeten Persönlichkeit zu entwickeln.
Einer der Gründe, warum die Kunst der Unterhaltung heute auf einer so niedrigen Stufe steht, ist der Mangel an herzlicher Teilnahme. Wir denken zu viel an uns selber und an unser eigenes Wohlergehen, wir schließen uns ganz in unsrer eigenen engen Welt ab und sind viel zu sehr mit uns selbst beschäftigt, um an andern wahrhaft Anteil nehmen zu können. Aber wer das nicht tut, der kann auch keine gute Unterhaltung führen. Wir müssen imstande sein, auf den andern einzugehen, uns in ihn hineinzudenken und mit ihm zu empfinden, sonst können wir uns weder gut mit ihm unterhalten, noch auch nur ihm gut zuhören.
Walter Besant erzählte oft von einer klugen Frau, von der jedermann überzeugt war, dass sie die Kunst der Unterhaltung ausgezeichnet verstehe – und dabei sprach sie selber ganz wenig. Aber sie hatte eine so herzliche, teilnehmende Art, dass die schüchternsten Menschen bei ihr alles sagen konnten, was sie auf dem Herzen hatten und was sie niemand anders hätten sagen können. Sie hatte die Fähigkeit, aus denen, die mit ihr sprachen, das Beste heraustreten zu lassen, was sie in sich trugen.
Wenn du auf andre einen angenehmen Eindruck machen willst, so musst du auf ihre Gedanken und Bedürfnisse eingehen. All dein ausgebreitetes Wissen über einen Gegenstand nützt dir in der Unterhaltung nichts, wenn das, was du sagst, deine Zuhörer nicht interessiert.
Es ist ein trübseliger Anblick, wenn man in einer Gesellschaft manchmal Leute stumm und hilflos dastehen sieht, die sich an der Unterhaltung nicht beteiligen können, weil sie ganz und gar von Gedanken an sich selbst, an ihre Geschäfte, an ihren Vorteil, an ihr Vorwärtskommen erfüllt sind. Sie kommen gar nicht von sich selber los und können deshalb auch gar nicht auf andere eingehen. Sie bleiben immer kalt, zurückhaltend und selbstsüchtig. Wenn du von ihren Angelegenheiten mit ihnen redest, da sind sie gleich mit Eifer dabei; aber alles, was dich angeht, ist ihnen vollkommen gleichgültig. Dass ein solch selbstsüchtiger Mensch keine gute Unterhaltung führen kann, liegt auf der Hand.
Wer die Kunst der Unterhaltung versteht, der ist von selbst taktvoll, das heißt teilnehmend ohne Aufdringlichkeit. Es ist natürlich verkehrt, den Menschen mit seiner Teilnahme gleichsam den Dolch auf die Brust zu setzen und ihre vielleicht peinlichen Familienangelegenheiten zum Gegenstand der Unterhaltung zu machen. Manche Menschen berühren immer und unwillkürlich das Beste in andern; manche dagegen haben das Unglück, immer wunde Punkte zu berühren: so oft sie mit uns in Berührung kommen, verletzen sie uns.
Andre verstehen die Kunst, alles Unangenehme angenehm zu machen; sie berühren niemals einen wunden Punkt und machen alles lebendig, was von Gutem und Schönem in uns vorhanden ist.
Abraham Lincoln war Meister in der Kunst, sich für alle Menschen, mit denen er sprach, anziehend zu machen. Er erfüllte seine Zuhörer mit Behagen, wenn er seine Geschichten und seine Späße vorbrachte, in seiner Gegenwart taten alle Menschen die Schätze ihres Geistes ganz rückhaltlos auf. Wer ihn noch nicht kannte, freute sich, wenn er mit ihm sprach, denn er war so umgänglich und behaglich und gab immer selber mehr her, als er einnahm.
Ein hervorragendes Stück in der Kunst des Unterhaltens ist ein natürlicher Humor. Freilich hat ihn nicht jeder, und wer ihn vortäuschen will, macht meistens nur sich selber lächerlich. Auf der anderen Seite darf man aber in der Unterhaltung nicht zu trocken sein; die bloße Aufzählung von Tatsachen ermüdet den Hörer bald. Man muss ursprünglich, lebhaft und natürlich sein und Teilnahme für andre zeigen, sowohl für ihre Bedürfnisse wie für ihr Denken – so allein bringt man zuwege, dass die andern mit Interesse uns zuhören. Einem kalten, zurückhaltenden und offenbar selbstsüchtigen Menschen hört niemand lange zu. Man muss die Tore seines Geistes weit auftun, wenn man sich die Herzen seiner Hörer öffnen will. Aber man kann die Herzen nur treffen, wenn man sie merken lässt, dass man selber ein Herz für sie hat.
„Wenn ich mit Menschen- und Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht“, sagt der Apostel, „so wäre ich ein tönendes Erz und eine klingende Schelle.“ Und Faust gibt seinem Famulus Wagner mit deutlicher Beziehung auf diese Worte den Rat, er solle kein schellenlauter Tor sein:
Wenn Ihr’s nicht fühlt, Ihr werdet’s nicht erjagen,
wenn es nicht aus der Seele dringt
und mit urkräftigem Behagen
die Herzen aller Hörer zwingt.
Sitzt Ihr nur immer! Leimt zusammen!
Braut ein Ragout aus andrer Schmaus
und blast die kümmerlichen Flammen
aus Eurem Aschenhäuschen raus!
Bewunderung von Kindern und von Affen,
wenn Euch danach der Gaumen steht –
doch werdet Ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
wenn es Euch nicht von Herzen geht!
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