Der geborene Leiter

Aus Selbstsucht und Selbstkontrolle - 15. Kapitel: Der geborene Leiter

 

Wenn ein Fremder eines unserer großen Geschäfte betritt, so könnte er wohl den Eindruck bekommen, die Hunderten von Angestellten, die da hin und her eilen, mächtig viel reden und ungemein geschäftig sind, seien dafür verantwortlich, dass alles richtig getan werde. Aber wenn er in eines der inneren Zimmer käme, das freilich nicht für jedermann zugänglich ist, so fände er dort einen ruhigen, kühlen Herrn am Schreibtisch, der gar nicht viel Worte macht, in dessen Hand aber die Fäden zusammenlaufen, die die Hunderte und vielleicht Tausende von Angestellten und Arbeitern des Geschäfts in Bewegung setzen. Er ist Haupt-, Mittelpunkt und bewegende Kraft des Ganzen.

 

Wer eine leitende Stellung begehrt, der muss die Fähigkeit haben, Einrichtungen aufzubauen und Menschen an die richtige Stelle zu setzen. Er muss in den Menschen lesen können wie in einem offenen Buch, und außerdem muss er sofort wissen, wozu der oder jener zu gebrauchen, was er wert und wohin er zu stellen ist.

 

Manchen Menschen ist es offenbar so natürlich und leicht, andere zu leiten und zu führen, als zu atmen; es liegt etwas in ihrer Persönlichkeit, dem andere sich willig unterordnen. Das sind die geborenen Leiter. Sie brauchen gar keine große Willenskraft aufzubieten, sie überwältigen durch die bloße Kraft, die in ihrem Wesen und Charakter liegt, wie Herakles die überwältigte, die ihn nur sahen. Es kommt gar nicht darauf an, in welcher Lage oder Umgebung sie sich befinden – sie stehen immer an der Spitze.

 

Wenn wir eine Herde von Rindern zusammenbringen, die noch nicht aneinander gewöhnt sind, dann wird sofort darüber entschieden, welches das Leittier sein soll. Sie messen ihre Kräfte, und wenn das Leittier sich ausgewiesen hat, was durch einen einmaligen Kampf festgestellt wird, so ist es Meister der ganzen Herde.

 

In jeder Körperschaft von leitenden Männern, ja in jeder Vereinigung von Menschen zu bestimmten Zwecken ist immer einer, der die anderen offenbar überragt und der durch stillschweigende Übereinkunft zum Sprecher oder Leiter gemacht wird. Seine Kennzeichen sind immer bejahende Eigenschaften, er herrscht durch kraftvolle Bejahung, es ist nichts Verneinendes an ihm. Der verneinende Mann scheut vor der Verantwortung zurück und wartet, bis ein anderer die Losung ausgibt. Ein geborener Leiter braucht die, die unter ihm stehen, gar nicht zu treiben; sie folgen ihm von selber überall hin.

 

Ein guter Schachspieler muss imstande sein, ein Dutzend Züge über den gegenwärtigen Stand des Spiels vorauszublicken, er muss auf Unerwartetes gefasst sein, um jedem Zug seines Gegners mit dem richtigen Gegenzug antworten zu können.

 

Vorausblicken können, das ist auch die hervorstechendste Eigenschaft des Leiters. Überall braucht man Männer, die in die Zukunft vorausblicken können, denn nur mit dem geht man sicher, der auf das Unerwartete und auf Notfälle vorbereitet ist.

 

Es kommt freilich auf der anderen Seite auch vor, dass einer so viel weiß und so viel voraussieht, dass es ihm den Mut raubt, die leitende Stelle zu übernehmen. Es hat einmal einer nicht unzutreffend gesagt: „Wer das Unmögliche dennoch möglich macht, ist gewöhnlich ein Mensch, der gar nicht wusste, dass die Sache für unmöglich galt. Der reine Tor, der nichts davon weiß, dass man etwas Bestimmtes nicht tun kann, geht darauf los und tut es.“

 

Gelehrsamkeit tötet oft den frischen Wagemut. Gelehrte sind bekannt als unentschlossen, wenn es sich um einen kraftvollen Entschluss handelt. Wer aber nur in der einen Sache Bescheid weiß, um die es sich gerade handelt, der hat Mut genug, sie durchzuführen, denn er sieht die möglichen Gefahren gar nicht so genau wie ein Mann mit breiterer Bildung. Sein Gesichtskreis ist enger, er sieht nur den nächsten Schritt, und so geht er kraftvoll und begeistert vorwärts.

 

Ob ein Leiter aber mehr oder weniger gebildet ist, eins versteht er immer, nämlich zu unterscheiden zwischen bloßen Kenntnissen von einer Sache und der wirklichen Fähigkeit, sie auszuführen. Ein Mann wie General Grant hatte eine Menge Untergebene, die viel mehr wussten und viel gebildeter waren als er, aber sie konnten ihr Wissen nicht in Kraft umsetzen. Was er aber wusste, das konnte er auch alles ausführen.

 

Man kann nicht zugleich Heerführer und gemeiner Soldat sein, man muss entweder befehlen oder gehorchen, man muss entweder den Schlachtplan entwerfen oder man muss unter denen sein, die ihn ausführen helfen. Beides zusammen geht nicht, wenn etwas Großes geleistet werden soll. Der Erfolg eines großen Heerführers beruht wesentlich darauf, dass er imstande ist, sich mit einem Stab von Offizieren zu umgeben, die fähig sind, seine Pläne und Befehle auszuführen.

 

Wer andere leiten will, muss ein Mann von schnellen Entschlüssen sein. Wenn er unsicher ist, wenn er nicht weiß, was er zunächst tun soll, ohne jemand zu fragen, so verlieren die, die ihm zu folgen haben, oder seine Angestellten bald die Achtung vor ihm.

 

Du kannst das Größte nicht vollbringen, wenn du nicht Menschen zu leiten verstehst, und du kannst die Menschen nicht leiten, wenn du mit ihnen nicht durch ein Band innerlicher Teilnahme verknüpft bist.

 

Die größten unter den geborenen Führern sind die, die beides vereinigen: auf der einen Seite rasches und kräftiges Handeln, auf der anderen Güte und Rücksicht auf die, die ihnen folgen. Einem Leiter, der diese Eigenschaften vereinigt, folgen seine Angestellten nicht bloß, weil sie eben müssen, sondern sie folgen ihm mit Begeisterung, sie machen Überstunden und Sonntagsarbeit, nur um ihm behilflich sein zu können.

 

Es gibt kein äußeres Verfahren und keine geschäftlichen Regeln, durch die ein Mann andere zwingen kann, ihm treu zu sein und mit begeistertem Eifer für ihn zu arbeiten. Nur Eigenschaften, die in seiner Persönlichkeit liegen, können sie veranlassen, ihm freiwillig ihr Vertrauen und ihre Achtung entgegenzubringen. Sie müssen selbst sehen, dass er ein Geschäftsmann ist, dass er Entschlusskraft besitzt und dass er fähig ist, Leiter und Führer zu sein – dann folgen sie ihm mit ebenso viel Eifer als Treue.

 

Wenn du aber auf irgendeinem Gebiet Leiter oder Unternehmer bist, dann gib dich nur niemals der Einbildung hin, du könntest aus deinen Untergebenen oder Angestellten Eigenschaften herauslocken, die den deinigen bedeutend überlegen wären. Denn zum Wesen der leitenden Stellung gehört eben die Überlegenheit dessen, der sie inne hat.

 

Wenn du dich davor scheust, dir Feinde zu machen, dann denke nicht daran, irgendwo zu führen, denn in dem Augenblick, wo du aus der Menge heraustrittst und schöpferische Eigenart zeigst, fangen alle an, dich zu beurteilen, zu verurteilen und misszuverstehen. Es ist einmal der menschlichen Natur eigen, nach jedem Haupt, das über die Menge hervorragt, mit Steinen zu werfen.

Es liebt die Welt das Strahlende zu schwärzen

und das Erhabene in den Staub zu ziehen.


Noch niemals ist ein wirklich großer Führer von der Eifersucht und dem Neid derer verschont geblieben, die nicht mit ihm Schritt halten und das nicht leisten konnten, was er leistete.

 

Ein Mann in leitender Stellung muss von freudig bejahendem und kühn vorwärtsdrängendem Wesen sein, er muss einen eisernen Willen und eine durch nichts zu erschütternde Entschlusskraft haben, seine Kühnheit muss der Waghalsigkeit nahekommen und gegen jeden Tadel muss er unempfindlich oder gleichgültig sein.

 

Was heute vor allem nottut, das ist die Fähigkeit zur Organisation, und sie ist deshalb so nötig, weil heute oft in einem einzigen Geschäft hundertmal mehr auf dem Spiel steht als früher in zehn oder fünfzig. Deshalb sind heute leitende Männer mehr gesucht als jemals zuvor.

 

Ein großer Fehler in der Erziehung und Bildung unserer jungen Leute liegt darin, dass man ihre Eigenart nicht entwickelt. Jungen und Mädchen mit den verschiedenartigsten Anlagen werden nach einem und demselben Lehrplan unterrichtet: der Stumpfe wie der Helle, der Büchermensch wie der künftige Mann der Tat, der tätige und erfinderische Kopf und der, dessen Herz auf verschwiegene Klänge lauscht, der Junge mit dem Gehirn eines großen Geldmanns und der geborene Schauspieler oder Feldherr – alle werden in dieselbe Form gepresst und demselben Verfahren unterworfen. Das Ergebnis ist denn auch wie zu erwarten: neun Zehntel der Kinder, die aus dieser Erziehungsmaschine herauskommen, sind einfache Wiederholungen eines und desselben Musters. Unser ganzes Bildungswesen ist geradezu darauf eingerichtet, alle persönliche Eigenart zu vernichten, wenn nicht eine ganz besonders hervorragende Begabung sich als unverwüstlich erweist. Und so bleiben eine Unmasse von Menschen bloße Nachfolger fremder Spuren, sie sind bloßer Widerhall statt eigener Klang, denn ihre Eigenart wird nicht entwickelt und ermutigt.

 

Wie traurig ist es zu sehen, wenn ein Mensch, der offenbar zum Leiter geboren war, sein Leben lang anderen folgt, fremden Rat sucht und niemals wagt, sich auf sein eigenes Urteil zu verlassen, bloß weil man ihm zeitlebens gepredigt hat, er müsse sich an andere anlehnen und die Wege gehen, die andere gebahnt haben. Sein angeborenes natürliches Urteil, seine Fähigkeit zu selbständigen Entschlüssen sind zu ewigem Schlaf verurteilt, und was er tut, ist die Leistung eines Schwächlings, während es die eines Riesen sein könnte – alles bloß, weil ihm eine auf seine Persönlichkeit zugeschnittene Ausbildung gefehlt hat.

 

Die wahre Bildung, für die heute die Welt, wie mir scheint, allmählich reif ist, besteht darin, dass man die verborgenen Anlagen und Keime sich entwickeln und entfalten lässt, dass man die angeborenen Kräfte ausbildet, dass man das Selbstvertrauen stärkt, dass man die schöpferische Kraft und die Stärke des Entschließens entwickelt und alle Fähigkeiten übt und kräftigt.

 

Leiter und Schöpfer sind uns heute viel nötiger als Nachfolger und Nachahmer; von denen haben wir genug und können noch abgeben. Wir wollen, dass unsere Jugend gelehrt werde, auf sich selbst zu stehen und dass ihre Fähigkeiten zur Leitung und Führung anderer, ihre Eigenart und Persönlichkeit entwickelt und gestärkt werden, nicht ausgerottet und getötet.

 

Diese Eigenschaften können an jedem menschlichen Wesen in irgendwelchen Grad entwickelt werden; wenn das aber nicht in der Jugend geschieht, so bleiben sie freilich im Schlummer.

 

Hunderte, die eine höhere Schule mit tadellosem Abgangszeugnis verlassen haben, sind von hoffnungslosen Misserfolgen begleitet, wenn sie ins tätige Leben eintreten wollen. Sie haben nicht die geringste Fähigkeit, andere zu leiten, gar keine selbständigen Gedanken und keine Spur von Selbstvertrauen. Sie sind vollgestopft mit Tatsachen und Lehren, aber die Fähigkeit, die Dinge zusammenzuschauen oder gar anzuwenden, liegt völlig im Schlummer. Sie sind niemals dazu erzogen worden, sich auf ihr eigenes Urteil zu verlassen, deshalb urteilen sie schwächlich, zögernd und unsicher. Sie wissen nicht, wie sie eine Sache angreifen und wie sie die vielen Tatsachen und Lehren, die sie im Kopf haben, nun auf solche Maßstäbe zurückführen sollen, dass man damit arbeiten kann.

 

Die Erziehung und Bildung unserer Jugend darf nicht darin bestehen, ihr Gedächtnis mit so vielerlei Stoff anzufüllen, dass es einem ungefügen, schwer zu wälzenden Wörterbuch gleicht. Ein wirklich "ausgebildeter" Mensch weiß, wie er seine Kenntnisse anwenden und in die Tat umsetzen soll, er hat die Kraft des Entschlusses und ist Herr seiner selbst mit der Fähigkeit alle die Kräfte zu gebrauchen, die Gott in sein Wesen gelegt hat. Er wird nie zum Anlehner, Nachahmer und Nachfolger. Er wird vielleicht kein Leiter und Anführer ersten Ranges, aber er holt sich doch seine Ansichten nicht immer bei anderen, er vertraut seinem eigenen Urteil und steuert seinen Kurs auch bei hohem Seegang selber: mit einem Wort, wie auch das Los ihm falle, er bleibt er selbst und lebt sein eigenes Leben.  

 

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Die Erziehung und Bildung unserer Jugend darf nicht darin bestehen, ihr Gedächtnis mit so vielerlei Stoff anzufüllen, dass es einem ungefügen, schwer zu wälzenden Wörterbuch gleicht. Ein wirklich „ausgebildeter“ Mensch weiß, wie er seine Kenntnisse anwenden und in die Tat umsetzen soll, er hat die Kraft des Entschlusses und ist Herr seiner selbst mit der Fähigkeit alle die Kräfte zu gebrauchen, die Gott in sein Wesen gelegt hat. Er wird nie zum Anlehner, Nachahmer und Nachfolger.

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