Aus Der außergewöhnliche Geschäftsführer - 13. Kapitel: Beständige Wachsamkeit
Ich kenne einen Herrn, dessen Geschäft von Jahr zu Jahr zurückgeht; er weiß es auch, aber er hat nicht den Mut, den Dingen ins Gesicht zu sehen und den kranken Fleck aufzusuchen und auszuschneiden. Er wurstelt so fort, wie man sagt, und obwohl er sich eigentlich bereits darüber klar ist, dass keine Hoffnung mehr möglich ist, hofft er doch immer noch, es könne vielleicht irgendeine Wendung der Dinge eintreten, die ihn noch einmal herausreiße. Er hat nicht einmal den Mut, ganz offenbare Missstände abzustellen, denn er hat eine wahre Scheu vor Eingriffen und Veränderungen. So lässt er sich von Jahr zu Jahr treiben, obwohl er sieht, dass er nicht bloß nicht mehr mit Gewinn, sondern sogar bereits mit Verlust arbeitet. Er ist wie gelähmt, weil er nicht das Herz hat, einschneidende Maßregeln zu treffen.
In solcher Lage sind nicht wenige Geschäftsleute. Sie haben vielleicht ein weiches Gemüt oder eine schönheitsdurstige Seele und scheuen vor jedem Missklang zurück; sie halten lieber Frieden und Harmonie um jeden Preis, selbst wenn sie spüren, dass das Geschäft dabei Schaden nimmt. Bei manchem geht die Sache so weiter und bergab bis zur Zahlungseinstellung, bloß weil er sich nicht entschließen kann, ihr ins Gesicht zu sehen, der Schwierigkeit auf den Grund zu gehen und das Übel auszurotten, indem er das kranke Glied abschneidet, ehe der ganze Körper in Mitleidenschaft gezogen wird.
Ich kenne noch einen andern Geschäftsmann, einen weichen, liebenswürdigen Menschen, der nur leider von den Einzelheiten des Geschäftes gar nichts versteht. Er hat jetzt endlich eingesehen, dass er dicht vor der Zahlungseinstellung steht, aber nichts kann ihn aus seiner liebenswürdigen Schwäche herausreißen und er ist offenbar unfähig, selbst Hand anzulegen und mit kräftigem Entschluss das Nötige zu tun.
Freilich, oft genug merkt er es eben nicht, dass das Geschäft so krank ist. Er hat sich allmählich daran gewöhnt, dass nicht alles so geht, wie er es früher gedacht hat, dass die Ordnung nicht mehr so genau ist wie anfangs, und seine Energie und sein Streben haben so allmählich abgenommen, dass er es gar nicht fühlte. Er sitzt verhältnismäßig behaglich in einer Umgebung, deren Zustand ihn vor einigen Jahren noch zu Empörung gebrach hätte – und so geht es dann immer weiter bergab.
Es gibt heute einen neuen Beruf, den man etwa mit „Geschäftsarzt“ bezeichnen könnte: Leute, die mit Kenntnis aller neuesten Betriebsarten ausgestattet, ein Geschäft darauf hin untersuchen, ob alles in Ordnung ist und nirgends veraltete, zeitraubende und kostspielige Formen des Betriebs hemmend einwirken. Ein solcher „Geschäftsarzt“ findet gar manchmal seinen Kranken in hochgradigen Schwächezustand vor, mit so langsamen Säfteumlauf, dass man das Leben kaum noch fühlt. In einem solchen Fall sagt er zu dem Geschäftsinhaber: „Es fehlt hier einfach an Lebensenergie, es muss neues Blut ins Geschäft, oder der Kranke stirbt.“ Man darf natürlich nicht die Augen verschließen vor den wahren Ursachen des Niedergangs und allerhand falsche Erklärungen suchen, nur weil man die richtige nicht anerkennen will. Ein tüchtiger Geschäftsmann geht der Sache auf den Grund, findet die wahre Ursache entweder selbst oder lässt sie sich zeigen und ergreift im Notfall einschneidende Maßregeln, koste es, was es wolle. Er betrachtet seine Konkurrenten und ihre Geschäfte und findet bald heraus, sie haben bessere Läden, hübschere Schaufenster, geschmackvollere Einkäufer, ihre Waren sind besser ausgelegt, ihre Angestellten flinker, frischer, höflicher, ihre Abteilungsvorsteher energischer und weitblickender als die seinigen. Er sieht, dass er altmodisches Zeug in Haufen aufgestapelt hat und allmählich selber in den Ruf gekommen ist, altmodisch zu sein, und dass die Kunden deshalb schließlich zur Konkurrenz übergegangen sind.
Ein großes Übel in manchen Geschäften besteht darin, dass man minderwertige Angestellte beibehält, sei es, dass man ihre Minderwertigkeit nicht durchschaut, sei es, dass man aus Bequemlichkeit oder aus schwächlicher Weichherzigkeit ihre Entlassung nicht verfügen mag.
Viele Geschäfte fahren auf der bewegten See des Konkurrenzkampfes mit so viel totem Ballast, dass sie sich kaum über Wasser halten können. Angestellte oder Teilhaber oder deren ins Geschäft eingetretene Söhne sind vielleicht unfähig und hemmen allen vernünftigen Fortschritt. Oder der Geschäftsführer ist viel auf Reisen, sein Stellvertreter hat seine Lieblinge, die trotz anerkannter Unfähigkeit in leitende Stellungen kommen, die übrigen Angestellten werden missmutig über diese ungerechte Bevorzugung und gleichgültig gegen das Geschäft, in dem so etwas zur Regel geworden ist: ihr tüchtiges Streben erlahmt und sie nehmen nicht mit Unrecht an, dass ein Geschäftsinhaber, bei dem das geschieht, sich doch nicht um die tüchtigen Leute kümmert. Oder es kann auch sein, dass die Angestellten unhöflich und gleichgültig sind und mehr Kunden durch ihr Betragen abschrecken, als der Geschäftsführer durch seine Reklame herbeizieht.
Beständig die Augen offen halten – das ist der Preis, um den allein ein blühendes Geschäft zu erhalten ist. Wer ein gutes Auge und die richtige Erfahrung besitzt, der sieht sofort, wenn er durch ein Geschäft geht, die Stellen, an denen die Krankheit eingesetzt hat und von denen aus sie sich allmählich verbreiten wird.
Es gibt sicher eine Masse von Geschäften, die an irgendeiner Krankheit leiden; es mögen altmodische Betriebsformen sein, oder Mangel an Ordnung, oder nachlässige Geschäftsführung, oder Fehler der Angestellten. Durch einen energischen „Arzt“ könnten sie wohl noch geheilt werden, aber ohne dessen Eingreifen siechen sie langsamer oder schneller dem Ende entgegen.
Wie viele Geschäftsführer gehen für ihre Person regelmäßig zum Arzt und lassen sich untersuchen, ob nicht ohne ihr Wissen eine verborgene Krankheit ihre Kraft zu lähmen droht, und sind bereit, alle mögliche Vorsorge zu treffen, um nur ja gesund und leistungsfähig zu bleiben. Aber genau ebenso sollten sie ihr Geschäft untersuchen oder vom richtigen Arzt untersuchen lassen, ob nicht irgendwo Anzeichen von Schwäche oder Lähmung sich finden, die durch rasches Eingreifen geheilt werden können, ehe die Sache um sich greift.
Die Macht der Trägheit spielt eine große Rolle im Geschäftsleben. Man macht die Dinge unwillkürlich noch immer ebenso, wie man sie seit Jahren gemacht hat, und kann sich nicht entschließen, neue Betriebsformen einzuführen, so dass die Konkurrenz, die mehr auf der Höhe ist und das Neuste und Beste bei sich einführt, allmählich die Kundschaft zu sich hinüberzieht.
Es ist nicht genug, wenn du beim Jahresabschluss dich überzeugst, dass das Geschäft als Ganzes noch mit Gewinn arbeitet; du musst von jedem einzelnen Betrieb wissen, ob er zu diesem Gewinn beiträgt oder ob seine Verluste erst durch andre Gewinne wieder ausgeglichen werden müssen. Und wenn es irgendwo nicht stimmt, so muss dort sofort geändert werden, und wenn es nicht geht, so heißt es wie ein energischer Arzt handeln, der unter Umständen sofort zum Messer greift, wo ein zaghafter und weniger kenntnisreicher noch allerlei Mittel und Mittelchen probiert, die doch nichts helfen und schließlich den Kranken an Blutvergiftung sterben lassen. Ein Betrieb oder eine Abteilung, die nicht durch Änderung der Betriebsformen oder durch Wechsel in der Leitung und Besetzung zu heilen ist, muss weg; lieber gleich schneiden, als die Sache hinzögern und hinhalten, wenn es doch nichts hilft.
Es ist freilich ein schwerer Entschluss für einen tüchtigen Geschäftsmann, wenn er sich auf ein bestimmtes Gebiet eingelassen und dort sein Geld verloren hat, dass er nun darauf verzichten soll, das Geld dort wieder zu suchen, wo es verloren ist, und das Geschäft wenigstens noch so lange fortzuführen, bis er seinen Verlust wieder eingebracht hat. Aber wenn du siehst, dass es ein falscher Griff war, dass doch nichts dabei herauskommt, dann gesteh lieber deinen Fehler ein und zieh dich rasch und ganz, meinetwegen mit Verlust, aus der Sache heraus.
Ein Geschäftsmann in New York erzählte mir, dass er außerhalb seines eigenen Geschäftes einmal eine Anlage gemacht habe, die nicht gut ausgefallen sei. Er sei aber so verbissen gewesen in den Gedanken, sein Geld wieder hereinzubekommen, dass er immer mehr in die Sache hineingesteckt habe, ohne sie doch eigentlich ganz gründlich zu verstehen, bis schließlich über zwei Millionen draufgegangen seien, die er zwar in seinem eigenen Geschäft ganz gut wieder eingebracht habe, deren Verlust er aber doch seiner Unkenntnis und vor allem seinem Eigensinn zuschreiben müsse. Schließlich gab er die Sache doch auf und hatte, allerdings um teuren Preis, wenigstens zwei Dinge dabei gelernt: erstens, nichts zu machen, was er nicht vollkommen übersieht und versteht, und zweitens, wenn er merkt, dass er einen Fehler begangen hat, die bittere Arznei gleich zu schlucken und sich von der Geschichte sofort zurückzuziehen.
Ein Hauptmerkmal für den wirklich fortschrittlich denkenden Geschäftsführer besteht darin, dass er beständig kleine Verbesserungen im Geschäft einführt. Er fürchtet sich so vor dem Zurückbleiben, dass er nicht einmal stehen bleiben will, und er weiß, dass die Gewöhnung an Minderwertiges den Menschen mit größter Schnelligkeit schlechter macht. Man muss sich nicht einbilden, dass man das ganze Geschäft auf einmal durch irgendein Geheimmittel verändern und verbessern kann; das wahre Zaubermittel besteht nur darin, dass man überall im Kleinen verbessert. Es ist ganz wie in der Natur: nie rastende Entwicklung aller Teile bringt das Ganze vorwärts, nicht große, krampfhafte Umwälzungen.
Du musst jeden neuen Tag beginnen mit dem Vorsatz: heute Abend muss irgendein Stück bei mir besser sein, als gestern. Halte beständig die Augen offen und gehe abends mit dem Bewusstsein aus dem Geschäft, dass wieder etwas verbessert worden ist. Rücke jeden Tag einen kleinen Schritt vorwärts, und wenn das Jahr um ist, wirst du mit Staunen sehen, wie weit du gekommen bist.
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