Du kannst - ob du auch willst?

Aus Der Wille zur Tat - 4. Kapitel: Du kannst - ob du auch willst?

 

Das Selbstvertrauen, das sagt: „Ich kann, ich will und ich werde es tun“, ist es, das dem Menschen durchhilft.

Vor mir liegt ein Brief von einem jungen Mann, der mir schreibt, die Behauptung, jedem Menschen, der die Fähigkeit habe, etwas zu erreichen, biete sich auch die Gelegenheit dazu, sei vollkommen falsch. Er sagt: „Gut bezahlte Stellen sind außerordentlich selten; Leute, die nach ihren Fähigkeiten Tausende verdienen würden, erhalten ein Gehalt von wenigen Hundert. Ein junger Mann voll Eifer und Tatkraft, körperlich und geistig vollständig befähigt, jede Arbeit zu leisten, die ihm anvertraut wird, dem selbst daran liegt, seine Aufgabe bis in jede Einzelheit hinein gut zu erfüllen, tritt in ein Geschäft ein, und die ihm bestimmte Arbeit wird ihm zugewiesen. In kein anderes Gebiet des Geschäfts erhält er einen Einblick, er kann seine Gedanken über den Geschäftsbetrieb nicht geltend

machen, mag er auch noch so eifrig und strebsam sein. Seine Dienste werden seiner Jugend und Unerfahrenheit nach nur gering bewertet, er erhält ein kleines Gehalt und wenig Aufbesserung. Da er also hier keine Aussichten für die Zukunft hat, wechselt er die Stelle. Der Erfolg ist genau derselbe. Es bieten sich allerdings zuweilen sehr günstige Gelegenheiten, aber es gibt mehr bedeutende Menschen, als günstige Gelegenheiten. Es ist der reine Zufall, der den richtigen Mann an den richtigen Platz stellt.“

Der geistige Zustand, in dem sich der Schreiber dieses Briefes befindet, ist der Zustand, der viele Tausende von Männern und Frauen um den Erfolg betrügt, den zu erringen sie mehr als reichlich die Befähigung hätten. Statt zu sagen: „Ich kann und ich will!“ sagen sie, genau betrachtet: „Ich kann nicht und ich will nicht!“ Und natürlich geschieht es dann auch nicht, denn ohne den festen Willen, Erfolg zu erringen, bleibt auch der Begabteste ein Fehlschlag.

„Ich kann und ich will“ ist der Schlachtruf der von Anbeginn der Zeiten an ganze Heere wie einzelne Menschen zum Sieg geführt hat, trotz anscheinend unüberwindlicher Hindernisse.

Es ist ein großer Unterschied ob du von Anbeginn an eine Sache angreifst mit zusammengebissenen Zähnen und dem festen Willen, sie durchzuführen, oder ob du mit dem Gedanken anfängst, du wollest einmal zusehen, wie es gehe, und wenn sich zu viele Hindernisse auftürmen so könntest du die Sache ja auch wieder lassen. Der Entschluss zu siegen, ist der halbe Kampf, und auf die Niederlage vorbereitet sein, sie voraussehen, ist schon die halbe Niederlage, noch ehe der Kampf wirklich begonnen hat.

Die Welt braucht Männer, die das Wort „unterliegen“ nicht kennen, die sich nicht unterdrücken, unter keinen Umständen den Mut sinken lassen. Auf solche Männer ist Verlass; sie siegen entweder, oder sie fallen kämpfend.

Die Neuen Gedanken lehren uns, dass wir für den Sieg und nicht für die Niederlage geboren sind. Der mutigen, entschlossenen Seele ist ein Unterliegen kein Abschluss, sondern nur ein Aufenthalt auf dem Wege zum endlichen Sieg. Wer aus dem rechten Stoff gemacht ist, schreitet stets seinem Ziele entgegen, und wenn er fällt, ehe er es erreicht hat, so wendet er ihm im Fallen noch sein Auge zu.

Setze dich gleich beim Beginn deiner Lebensbahn darüber mit dir selbst ins Reine, dass du fest entschlossen bist, dein Ziel zu erreichen; sage dir, dass es für dich gar nichts anderes gebe, als das eine, worauf du deinen Sinn gestellt hast. Solch ein Entschluss kräftigt und stärkt den Charakter in ganz wunderbarer Weise und macht, dass wir entschlossen dem Ziele entgegenschreiten. Das ist für den, der Erfolg erringen will, so viel, als hätte er seine Schiffe hinter sich abgebrannt, so dass ihm gar kein anderer Weg mehr bleibt als der zum Sieg in allem, was er unternimmt.

Vor nicht zu langer Zeit hatte ein blinder Knabe, William Schenk, solch eine Auseinandersetzung mit sich selber. Und der Erfolg war, dass er trotz des gewaltigen Hindernisses seiner Blindheit unter hunderfünfundvierzig Schülern der Hochschule in New York City der erste wurde. Wer kann noch an der Zukunft eines jungen Mannes zweifeln, der so fest entschlossen ist, sein Ziel zu erreichen? Zweifellos wird er in kommender Zeit nicht nur seine Klassenkameraden weit hinter sich gelassen haben, sondern auch sonst noch Tausende von gesunden jungen Männern, mit allen Sinnen begabt, die dennoch nach allen Seiten Umschau halten nach jemand, der ihnen weiterhelfe.

Der Wille zum Sieg, der Geist, der sagt: „Ich kann und ich will!“ würde die gute Gelegenheit finden, er würde sie sich schaffen, und wenn er schiffbrüchig auf eine wüste Insel geworfen wäre, wie Robinson Crusoe.

Ein armer Sklavenjunge, Fred Douglas, war, was Gelegenheit sich zu bilden und weiterzukommen betrifft, in ungefähr ebenso hoffnungsloser Lage wie Robinson auf seiner Insel. Angenommen, er hätte zu sich gesagt, als ihm die Fesseln seiner Sklaverei und die ganze Hoffnungslosigkeit seiner Lage klar wurde: „Ich bin ein Sklave; wie strebsam ich auch sein und wie eifrig ich mich auch bemühen mag, aus diesen Fesseln herauszukommen, es ist keine Aussicht, dass es mir gelingen könnte, denn ich bin zur Sklaverei geboren. Meine Eltern und alle meine Vorfahren sind Sklaven gewesen. Ich habe nicht die geringste Aussicht, mich zu bilden und in der Welt weiterzukommen. Nicht einmal das Buchstabieren kann ich lernen, denn es gilt als Verbrechen, einen Sklaven das Lesen zu lehren. Das Streben, das ich in mir fühle, muss ich unterdrücken, denn es gibt keine Möglichkeit, dass ich es je werde befriedigen können. Es macht mich nur unglücklich. Es ist töricht von mir, dem nicht einmal der eigene Körper gehört, der keinen Pfennig in der Welt sein eigen nennt, von Freiheit und Bildung zu träumen. Aus einem Sklaven kann niemals etwas werden.“

Vorausgesetzt, Fred Douglas hätte in dieser Weise mit sich selbst gesprochen, würde dann die Welt wohl je etwas von ihm erfahren haben? Natürlich nicht. Er hätte als Sklave gelebt und wäre als solcher gestorben wie Millionen seiner Brüder. Aber er hatte den Willen zum Sieg. Statt zu sagen: „Ich kann nicht und will nicht“, sagte er: „Ich kann und ich will mich aus dieser entsetzlichen Sklaverei herausarbeiten.“ Mit Macht rief er seine göttlichen inneren Kräfte auf, die geheimnisvolle Macht, die in jedem Menschen liegt und immer auf unsern Ruf antwortet, und siegte über all die anscheinend unübersteiglichen Hindernisse, die zwischen ihm und der Freiheit und der Bildung seines Geistes standen. Er lernte die Buchstaben von Plakaten und abgerissenen Stücken Papier und aus einem alten Kalender, den er irgendwo aufgelesen hatte. Ein ganzes Buch hat er erst zu sehen bekommen,

nachdem er schon lesen konnte.

Aus solchen kleinen Anfängen heraus und unter so hinderlichen Verhältnissen gelang es diesem jungen Sklaven, seine Freiheit zu erringen und sich eine Bildung zu erwerben, durch die die Aufmerksamkeit des Präsidenten der Vereinigten Staaten auf ihn gelenkt wurde. Der Präsident ernannte Douglas zum Minister in Haiti, und Douglas hat sich einen Weltruf geschaffen als Vorkämpfer seines versklavten Volkes, dessen Sache er sein Leben geweiht hat.

Schon mancher junge Künstler hat sich selbst gefragt, wenn er ein Meisterwerk feiner Kunst beschaute: „Warum kann ich das nicht auch?“ Dann beantwortet er sich seine Frage selbst mit einem „Ich kann und ich will!“ und geht hin und tut es. Viele junge Leute fragen sich dasselbe, wenn sie von einem großen Manne hören oder lesen, der sich in ihrem Beruf einen berühmten Namen gemacht hat, und auch sie antworten mit einem: „Ich kann und ich will!“ und bahnen sich ihren Weg durch alle Arten von Hindernissen hindurch und erreichen endlich ihr Ziel.

„Warum sollte ich das nicht auch können?“ ist eine Frage, die das Streben anregt und schon viele begabte Menschen dazu gebracht hat, die in ihnen ruhenden Möglichkeiten zu erkennen, ihre verborgenen Hilfsquellen ins Spiel zu bringen und zum Sieg zu gelangen.

Auf dieses: „Warum sollte ich das nicht auch können?“ antworten heutzutage Tausende von jungen Leuten, denen sich vielleicht nicht halb so günstige Gelegenheit bietet wie dir, mit einem: „Ich kann und ich will!“ Verlass dich darauf, gar nicht weit von dir, der du dich über dein Missgeschick beklagst, ist jemand, der aus dem, was du einen ganz alltäglichen Zustand nennst, einen vollen Erfolg herausholen würde. Warum kannst du das nicht auch?

Ich will für dich antworten: „Du kannst, aber willst du auch?“

Das ist’s! In dir verborgen ruht, was dich befähigen würde, einen vollen Erfolg aus deinem Leben zu machen — in jedem Menschen ruht es — aber willst du auch bis dahin dringen? Willst du dieses Etwas entwickeln? Willst du diesen lauten Ruf an dein innerstes Innere erschallen lassen, der deinen ganzen wahren Menschen zu deiner Hilfe herbeiruft? Oder lässt du diesen Ruf nur halblaut ertönen, oder vielleicht gar nicht? Statt dir die Mühe zu nehmen, aufzurufen was in dir ist, lässt du dich auf der Linie des geringsten Widerstandes hingleiten und reihst dich schließlich denen an, die es nicht weiter als zu mittelmäßigen und untergeordneten Posten bringen. Bist du damit zufrieden, ein Leben ohne Anstrengung unter denen zu führen, die über ihre tägliche Tretmühle nicht hinauskommen, weil sie sich nie anstrengen, sich selbst zu vervollkommnen, ihre Arbeit besser zu lernen, weil sie ihre Fähigkeiten nie weiter zu entwickeln suchen, als sie für den nackten Lebensunterhalt nötig haben.

Einerlei, ob du in der Hütte oder im Palast geboren bist, in dir selbst findest du den Stoff, aus dem der Lebenserfolg sich aufbaut. Wenn du den richtigen Geist in dir hast, wirst du nicht mangelnde Begabung oder fehlende Bildung als Entschuldigung für Misserfolg oder Mittelmäßigkeit vorschützen. Die glänzendsten geistigen Eigenschaften sind nichts ohne den Willen zum Sieg.

Wenn du diesen Willen zum Sieg hast, wirst du nicht feilschen um Bedingungen und Glücksumstände. Du wirst nicht meinen, dass du zuerst mit allen feinsten Werkzeugen versehen sein müssest, ehe du überhaupt anfangen könntest, etwas zu tun. Wer in der Vergangenheit große Dinge vollbrachte, hat nicht erst auf gehörige Ausstattung und feine Werkzeuge gewartet. Wer heutigentags Großes vollbringt, wartet auch nicht erst lange darauf, dass ihm jemand die Schwierigkeiten aus dem Weg räumt, ehe er anfängt. Nein er fängt ohne weiteres an mit den Werkzeugen und Hilfsmitteln, die ihm gerade zur Verfügung stehen. Nicht feine Werkzeuge oder glänzende Gelegenheiten oder einflußreiche Freunde oder großer Reichtum machen den großen Mann; die Größe liegt im Menschen selbst und sonst nirgends. Die goldene Gelegenheit, nach der du ausschaust, sie ist in dir. Sie ist nicht in deiner Umgebung; sie liegt nicht im Glück oder Zufall oder der Hilfe anderer; in dir allein liegt sie. Tief drinnen in deinem innersten Innern ruht die Kraft, die dich zum Ziele führt.

Diese Kraft, die das Beste in dir ist, dein höchstes Selbst, antwortet niemals auf einen Ruf, der nur aus halbem Herzen erschallt, oder auf irgendein schwächliches Bemühen. Nur durch einen entschlossenen Ruf, durch die höchste Anstrengung ist an diese Kraft zu gelangen. Nur auf einen Ruf, hinter dem dein ganzes Selbst, nicht nur ein Teil von dir steht, gibt sie Antwort. Du musst mit ganzer, voller Seele bei dem sein, was du zu tun beabsichtigst. Jedes Teilchen deiner Tatkraft, unabänderlichen Entschluss, heißestes Bemühen, unausgesetzten Fleiß musst du an deine Arbeit wenden, oder du wirst nicht dein Bestes leisten. Durch dein ganzes Sein und Wesen durch volle Begeisterung und einen Entschluss durchzuhalten der kein Zurückweichen kennt, keinen Misserfolg gelten lässt, musst du dein Streben unterstützen.

Die nur mit halber Seele gestellte Forderung und nur halbe Bemühungen dringen nur bis an die Oberfläche deines innersten Innern und der darin schlummernden Möglichkeiten und vermögen darum nichts Ganzes und Großes zu vollbringen. Nur ein entschiedener Weckruf, ein mächtiger Wille, heißestes Bemühen, unablässiger Fleiß erschließen die Pforte zu deinem inneren Schatz und machen deine höchsten Kräfte frei.

Niemand hat den Erfolg für sich gepachtet; der Erfolg ist dessen, der den Preis dafür bezahlt. Selbstvervollkommnung ist die erste Grundbedingung, und der Wille zum Sieg der Schlüssel dazu. Der Mangel daran ist die Ursache der Erfolglosigkeit vieler Menschen, die genügend unentwickelte Gaben und Fähigkeiten in sich haben, sie zu allem zu machen, was sie nur wünschen.

Ich habe noch selten mit einem jungen Mann über seinen Erfolg im Leben gesprochen, der nicht ehrlich und aufrichtig der Ansicht gewesen wäre, er könnte viel größere Dinge verrichten, als er wirklich tat. „Warum tun Sie es denn nicht, wenn Sie doch wissen, dass Sie viel Besseres zu leisten imstande sind?“ habe ich schon öfter gefragt. Die Antwort zeigt dann immer, dass sie sich fürchten weiterzugehen, dass sie sich selbst nicht trauen; ihr Wille ist schwach; die Hindernisse in ihrer Bahn erscheinen ihnen allzu gewaltig, oder irgendetwas hält sie zurück, das ein entschlossener Wille wohl zu überwinden vermöchte.

Du stehst vor einer fest verschlossenen Pforte, die du anscheinend nicht zu öffnen vermagst, um die immer deine Träume kreisen wegen dessen, was dahinter liegt; bist du dir klar, dass wahrscheinlich nur du selbst sie durch deinen verkehrten geistigen Zustand verschlossen hältst? Hast du die richtigen Schritte getan, sie zu öffnen? Füllst du den Posten, den du jetzt innehast, so vollständig aus, dass du ein größeres Feld für deine Tätigkeit, eine höhere Stellung zur Betätigung deiner Gaben nötig hättest?

Kaum jemals ist etwas Großes in der Welt erreicht worden, von dem nicht eine Menge Leute vorher gesagt hätten, es sei unmöglich und eine Torheit, seine Zeit an den Versuch zu setzen. Wenn du irgendetwas Ungewöhnliches unternehmen, den betretenen Pfad verlassen willst, wirst du jederzeit jemand finden, der dir sagt, die Sache sei unmöglich, du werdest nur in die Irre gehen, wenn du dir deinen eigenen Weg zu bahnen suchst, und es wäre besser, wenn du in die Mitte der Straße zurückkehrtest. Wer so rät, gehört nicht zu denen, die etwas erreichen.

„Warum kann ich das nicht auch?“ fragt mancher junge Mann, wenn er die Lebensgeschichte eines armen Jungen liest, der es in der Welt weit gebracht hat.

Und ich wiederhole: „Du kannst, aber willst du auch?“ Die Umstände und Verhältnisse sind für dich viel günstiger, etwas zu erreichen, der Welt zu dienen, als sie je für die armen Jungen waren, die dennoch berühmte Männer geworden sind. Du bist der Erbe aller Zeiten. Dir stehen alle Erleichterungen, alle erworbenen Vorteile sämtlicher verflossenenen Jahrhunderte zu Gebote. Schreite weiter auf deiner Bahn und tue, was du tun möchtest. Du kannst, wenn du willst. Jetzt gleich fange an und warte nicht auf morgen. Morgen ist die Gelegenheit nicht mehr so günstig wie heute. Heut ist der beste Tag im Jahr. Heut ist der Tag des Schicksals, lass ihn ein Schritt werden der dich deinem Ziel näher bringt. Du bist zum Siegen geboren. Ob du den Sieg auch wirklich erringst, liegt in deiner Hand.

 

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